Professor Ulrich Haas seufzte. Nicht aus Enttäuschung, eher aus einer tiefen, wissenden Müdigkeit, die nur jahrelanges Unterrichten von Genies am Rande des Wahnsinns mit sich brachte. Knorb, sein begabtester Kommilitone, hatte wieder einmal dieselbe Passage im "Concerto for Tuba" von Ralph Vaughan Williams versemmelt. Immer an derselben Stelle. Ein leises "Plopp", wo ein voluminöses H erklingen sollte.
"Meiderino", sagte Haas schließlich, seine Stimme eine Mischung aus väterlicher Geduld und professoraler Autorität. "Wir hatten das doch schon. Dein Ansatz ist... sagen wir, avantgardistisch. Aber das 'Plopp' gehört nicht dazu. Hast du die Ventile mal wieder nicht gereinigt?"
Knorb, barfuß wie immer und mit seiner obligatorischen floralen Brille auf der Nase, kratzte sich hinterm Ohr. "Nun, Herr Professor, das ist ein Missverständnis. Ich reinige meine Tuba regelmäßig. Nur... gestern Abend gab es da diesen kleinen Zwischenfall."
Haas hob eine Augenbraue. "Zwischenfall?"
"Ja. Ich habe vorm Fernseher geübt. Thelonious Monk. Wunderbare Sache, diese Konzerte im arte-Player. Und da ich keine Lust zu kochen und kein Geld für den Lieferservice hatte, gab es Baguette mit Pflaumenmus." Knorb zuckte die Achseln. "Ich dachte, der Rest trocknet ein und löst sich von selbst. Ist doch Bio."
Haas schüttelte den Kopf, ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Er holte ein makelloses, weißes Batisttuch aus seiner Tasche, entfaltete es mit einer fast zeremoniellen Geste.
"Mein lieber Werner", erklärte er mit Nachdruck, während er das Tuch behutsam über die glänzenden Ventile strich, "ein Tubist pflegt sein Instrument tagein, tagaus mit einem solchen Tuch. Nicht nur, weil es glänzt, sondern weil jeder noch so kleine Rest, sei es Staub, Öl oder, im Falle deines Genies, Pflaumenmus, den Klang beeinträchtigen kann. Die Tuba ist eine Dame, die Aufmerksamkeit verlangt, keine Essensablage."
Knorb sah zu, wie Haas das verklebte Ventil vorsichtig säuberte. Als der Professor fertig war, blies Knorb ein tiefes H durch das Instrument. Es klang klar und voll, ohne das verräterische "Plopp".
"Sehen Sie?", sagte Haas. "Die Magie liegt oft im Detail, mein lieber Werner."
Professor Dr. Werner Knorb – Jazz-Schimpanse, Tuba-Virtuose, florale-Brillen-Liebhaber – und: Deutschlands einziger Jazzprofessor. Das allein würde schon reichen, um sich ein Denkmal aus Notenschlüsseln zu gießen. Aber Knorb wäre nicht Knorb, wenn er es dabei belassen hätte. Seine Habilitation bei Roger Bobo? Kein trockenes Papier, sondern eine wuchtige, an Pendereckis Polymorphia orientierte Version des Tuba-Stücks „Kreuz Kaiserberg“, von Bobo kommentiert mit: „Werner, das ist entweder genial – oder ein Notruf aus dem Untergrund.“ Knorb brummte nur. Die Aufnahme landete später, getarnt unter Pseudonym, auf dem legendären Album „Tuba Libera“ – ein Meilenstein für all jene, die Tuba nicht mehr nur mit Märschen assoziieren. Für seine Promotion zog er alle Register – und blies „The Lonely Shepherd“ auf der Tuba so sehnsuchtsvoll, dass Gheorghe Zamfir, Papst der Panflöte, zu Tränen gerührt war. Was folgte, war eine zweijährige Tour mit Zamfir und André Rieu: Rio, Tokio, Sydne...
Kommentare