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„Er spielte auf einer Lenorflasche“


 

Exklusives Interview mit Marion Ahlers, Tierpflegerin im Ruhestand, über die frühen Jahre von Prof. Dr. Werner Knorb im Duisburger Zoo - wir unterbrechen unsere Serie Brass Beauty


Ein Schimpanse spielt Tuba. Nein, das ist nicht der Anfang eines Witzes, sondern der Beginn einer der ungewöhnlichsten Musikerkarrieren des Ruhrgebiets. Wir sprechen im Café 43 am Markt in Beeck mit Marion Ahlers, Tierpflegerin in Rente aus dem Duisburger Zoo, die den heute weltbekannten Jazz-Professor in seinen frühesten Tagen begleitete.



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Frau Ahlers, Sie kennen Prof. Dr. Werner Knorb noch aus dem Zoo. Wie hat das damals alles angefangen?

Ach, wissen Sie, in den 60ern war das noch eine ganz andere Welt. Kein Internet, kein Gedanke an Artenschutz wie heute – aber da war dieser kleine Schimpanse, der irgendwie… herausstach. Werner wurde bei uns im Affenhaus geboren. Seine Mutter, Helga, war eine stattliche Dame aus dem Ituri-Wald im Kongo, hergebracht im Zuge dieser traurigen Wildfangaktion. Das war noch unter Direktor Gewalt. Sein Vater – Willem – stammte aus dem Burger's Zoo in Arnheim. Ein echtes Alphatier, mit einer Vorliebe für große Auftritte. Wenn er mit Bambusstäben auf dem Futternapf trommelte, klang das wie balinesisches Gamelan. Ganz eigen.

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Und Werner?

Der war anfangs ein Leichtgewicht, ein bisschen schwächlich, aber wahnsinnig wach. So ein Blick! Und dann war da eben diese Lenorflasche.

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Die legendäre Lenorflasche? Danke, übrigens für das Foto

Ganz genau die. Die habe ich damals zweckentfremdet. Wir haben früher damit Sägespäne im Gehege verteilt. Alte Lenorflaschen, aufgeschnitten, Henkel rein – das war unsere kleine Schaufel. Irgendwann war eine weg. Ich hab mich noch geärgert, dachte, sie ist in den Streugutbehälter gefallen oder so. Und dann seh ich den kleinen Werner da sitzen – mit der Flasche am Maul, bläst da rein, konzentriert wie ein Uhrmacher. Als wüsste er genau, was er da tut.

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War das der Moment, in dem Sie dachten: „Der wird mal Musiker“?

(lacht) Nein, das dachte ich nicht. Ich dachte: „Was macht der da schon wieder für’n Quatsch?“ Aber er hat wirklich Töne rausbekommen. Die ersten Versuche waren schräg, klar, aber dann – ich schwör – hat er die alte Sanostol-Werbemelodie gespielt. Jeden Morgen. Immer dieses „Saaaanostoool…“. Da konntest du die Uhr nach stellen.

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Sanostol?

Ich hab ihn damals ein bisschen aufgepäppelt. Er war ja zierlich. Und in den Sechzigern gab’s halt Sanostol – dickflüssig, süß, angeblich voll mit Vitaminen. Ich hab ihm heimlich was ins Wasser gerührt. Der mochte das. Süß und klebrig. Genau, wie sein geliebtes Pflaumenmus. Damit haben Sie den immer gekriegt. Auch, wenn der Tierazt zum Impfen kam.

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Hat er auch andere Geräusche imitiert?

Und wie! Der konnte die Besucher nachmachen, besonders schreiende Kinder nach dem Löwengehege – herrlich. Oder das Zischen von Wasserleitungen, das Echo im Belüftungsschacht – das hat er alles in seine Klangwelt übernommen. Der hat mehr Rhythmusgefühl als mein Neffe von den Sebastianus-Schützen.

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Wie ging’s dann weiter?

Na ja, irgendwann kam Helga, seine Mutter, auf die Idee, dass das kein Leben auf Dauer ist. Käfig, Zuschauer, „Guck mal, der Affe!“ – das konnte’s doch nicht sein. Sie kannte jemanden, der jemanden kannte, der an der Folkwang-Hochschule in Werden arbeitete. Und plötzlich steht der kleine Werner da – drei Jahre alt, barfuß im Vorspielsaal. Ich hatte ihm ein Sacko aus dem Altkleidersack besorgt. Das war zwei Nummern zu groß. Der sah aus. Du meine Güte.

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Und die Professoren?

Ulrich Haas war damals der Blechbläser-Guru. Der hat gesagt: „Der hat was.“ Werner hat auf einem Gartenschlauch mit Trichter gespielt, kein Scherz. Und sie haben ihn genommen. Erst mal auf Probe. Dann vollwertig.

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Der Rest ist Geschichte?

Fast. Die ersten Auftritte in Kellerclubs im Ruhrgebiet – sein Durchbruch war angeblich im Jazzclub an der Kalkstraße in Mülheim. Der „Mölmsche Pontifex“, Helmut Schlitt, hat ihn entdeckt. Dann Stipendium in Paris, Habilitation bei Roger Bobo, Welt-Tourneen mit Gheorghe Zamfir und André Rieu... Aber das ist nicht mehr meine Welt. Ich erinnere mich nur an den kleinen Kerl mit der Lenorflasche.

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Frau Ahlers, danke für das Gespräch.

Sehr gerne. Wissen Sie – ich wohne ja immer noch in Beeck. Und ich geh' jeden Dienstag zum Rewe in der Friedrich-Ebert-Straße, weil man da mit dem Rollator gut reinkommt. Und wenn der Wind richtig steht, hören Sie es schon von Weitem – aus dem ehemaligen Pumpwerk Alte Emscher, wo der Werner jetzt sein Jazzlabor hat. Da spielen sie. Der Werner und seine Truppe. Aber immer echt.
Und ich denk mir dann: Guck mal. Der kleine Knorb. Wat is’ aus dem geworden.

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